von: Ralf Gauer
Vielleicht wussten Sie bisher gar nichts über Ihr Lymphsystem und was es für Sie tut. Das Lymphgefäßsystem spielt eine wichtige Rolle für den Abtransport der Lymphe (Gewebsflüssigkeit) aus den verschiedenen Körperteilen. Es ist von Natur aus so leistungsfähig, dass es lebenswichtige Aufgaben erfüllt, ohne aufzufallen. Wenn es versagt, fühlen sich viele zunächst überfordert.
Wenn die natürliche Lymphdrainage nicht funktioniert, bemerken Sie wahrscheinlich am ehesten die Schwellung, das Ödem. Das ist eine sichtbare und tastbare Ansammlung von Flüssigkeit im Gewebe. Ein Ödem hat weitreichende Folgen für das Gewebe und es ist das wichtigste Ziel, es zu beseitigen. Die Leistung der natürlichen Lymphdrainage soll so gut wie möglich ersetzt oder wiederhergestellt werden.
Wasser hat am Ödem den größten Anteil. Es stammt aus dem Blut und kann relativ leicht wieder ins Blut zurückgedrängt werden. Wasser im Gewebe ist für Ihren Stoffwechsel eine große Belastung und kann nicht toleriert werden. Die Reaktion des Körpers löst Entzündungen aus, die den Zustand im Ödem verschlechtern.
Das Wasser kann mit Hilfe der Kompression, also Bandage und Bestrumpfung, noch am besten kontrolliert werden. Die Manuelle Lymphdrainage leistet hierbei nur einen Anteil und medikamentöse Behandlung sollte bestimmten internistischen Ursachen vorbehalten bleiben. Sprechen Sie deshalb Ihren Arzt immer auf Ihr Lymphödem an, wenn Ihnen entwässernde Medikamente verschrieben werden!
Eiweiß hält das Wasser im Gewebe. Dieses Eiweiß, welches in den Raum zwischen den Zellen ins Gewebe gelangt, wird vom geschädigten Lymphsystem nicht abtransportiert. Genau genommen ist dies die wesentliche und eigentliche Funktion des Lymphsystems: Der Abtransport von Eiweiß aus dem Gewebe. Dieses Eiweiß ist mengenmäßig nur gering vorhanden, aber mit großer Kraft zieht es Wasser aus der Blutbahn und hält es im Gewebe fest. Solange das Eiweiß nicht entfernt wird, kommt das Wasser immer wieder zurück.
Das Eiweiß kann sich verfestigen und im Gewebe verkleben. Die Folge ist ein „Einmauern“ der Lymphgefäße, was den schon geschädigten Abfluss noch weiter schwächt. Wenn die Lymphgefäße nicht mehr funktionieren, muss das Ödem als zähflüssige Masse durch Spalten im Gewebe verschoben werden.
Das Verkleben dieser Spalten mit Eiweiß kann mittels der Manuellen Lymphdrainage behoben werden. Das Verschieben wird leichter und kann bei geeigneten Druckverhältnissen in der Kompression und mit Bewegung sogar teilweise aus eigener Kraft gelingen.
Wenn Eiweißablagerungen über einen längeren Zeitraum vorliegen, wird der Körper versuchen, dieses Eiweiß mit den Mitteln des Immunsystems zu beseitigen, dabei kann es fibrotisieren. Fibrose ist in diesem Zusammenhang ein Filz aus Narbengewebe, der das Gewebe verhärten lässt, den Stoffwechsel erschwert und den Abfluss des Ödems verhindert. Die Verhärtung kann so weit gehen, dass es zu Schäden an den Nerven kommt, mit Lähmungen und Missempfindungen wie Ameisenlaufen oder Kältegefühl.
Im frühen Krankheitsverlauf lässt sich die Fibrose noch verhindern, später zumindest erleichtern.
Wenn der gesunde Lymphabfluss einer natürlichen Lymphdrainage nicht möglich ist, kann Manuelle Lymphdrainage helfen, den Lymphabfluss zu unterstützen, Eiweiß zu lösen und zu verschieben sowie die Fibrose zu behandeln.
Die Lymphknoten zu entlasten, also sie “frei zu machen”, um den Widerstand für den Abfluss zu verringern, ist das erste Ziel der Manuellen Lymphdrainage.
Lymphknoten sind Filter für die Lymphe in den Lymphgefäßen, die zahlreich vorhanden sind und den Lymphstrom aufhalten, wenn sie anschwellen. Da die Schwellung der Lymphknoten mit Infektionen in Verbindung stehen kann, weil die Lymphknoten ein Teil der Immunabwehr des Körpers sind, ist eine sorgfältige Diagnose unerlässlich.
Als zweites Ziel werden funktionierende Lymphgefäße angeregt und im Laufe der Zeit so trainiert, dass sie die Lymphe vermehrt abtransportieren können.
Lymphgefäße, die ihre Arbeit eingestellt haben, beispielsweise wegen Schmerzen und Entzündungen, können angeregt werden und zunehmend ihre Funktion wiederaufnehmen.
Wo die Lymphgefäße nicht arbeiten können, sollten sie entlastet werden, so dass eine Erholung möglich wird. Wenn das gelingt, ist zumindest teilweise ein selbstständiger Lymphabfluss gewährleistet. Wo das nicht erreicht wird, ist es die Aufgabe des Therapeuten, das Ödem durch die Gewebsspalten zu verschieben. Dabei ist die Zielsetzung, die Gewebsspalten zu erweitern und offen zu halten. Wenn das Ödem bis zu arbeitenden Lymphgefäßen transportiert wurde, kann es abfließen.
Die Fibrosebehandlung kommt nicht nur in der Manuellen Lymphdrainage vor. Viele Therapiebereiche beinhalten Techniken, um Verklebungen und Verhärtungen zu lösen. Die Lymphdrainage bietet gezielte Grifftechniken, die diese Aufgabe erfüllen. Mit einer angepassten Kompressionstherapie kann das gut ergänzt werden. Erlaubt sind alle Techniken, solange keine Schmerzen, keine Mehrdurchblutung und keine Verletzungen entstehen. Alle diese Aufgaben gehören zur Manuellen Lymphdrainage und sie können nur in einer sinnvollen Reihenfolge bearbeitet werden. Dafür unterteilt der Therapeut bestimmte Behandlungsgebiete wie Hals, Brustkorb oder Arm, die nacheinander behandelt werden. Diese werden dann wiederum in Abschnitte eingeteilt: Zum Beispiel Oberarm, Ellenbogen, Unterarm. In den Abschnitten werden die Befunde (Wasser, Eiweiß, Fibrose) nacheinander bearbeitet. Wie hier am Beispiel des Oberarms: Zuerst wird das Wasser verdrängt, dann das Eiweiß verschoben, abschließend Fibrose gelöst. Danach erfolgt die Behandlung am Ellenbogen.
Dazu benötigt der Therapeut entsprechend Zeit. Dies hat zur Folge, dass die Behandlung verhältnismäßig zeitaufwendig ist. Demzufolge muss die Therapie langfristig geplant und konsequent durchgeführt werden. Ihr Therapeut sollte sich ausreichend Zeit für ein Informations- und Aufklärungsgespräch nehmen und Ihre Fragen beantworten. Fragen Sie auch nach, wenn Sie etwas nicht verstehen.
Die anschließende Bandagierung beziehungsweise Kompressionsbestrumpfung sichert den Drainageerfolg. Und dann sind Sie selbst gefordert. Ihre Mithilfe ist bei der Therapie des Lymphödems eine entscheidende Komponente. Übernehmen Sie die Verantwortung für sich und Ihre Gesundheit. Informieren Sie sich. Werden Sie ein mündiger Patient und werden Sie aktiv, im Bundesverband Lymphselbsthilfe, allein oder in einer Selbsthilfegruppe.
Die Patientin muss sich wohlfühlen. Der Raum sollte gut temperiert sein. Die Patientin ist abgedeckt, dabei bleiben jedoch die Behandlungsgebiete frei. Des Weiteren ist es relevant, Störfaktoren wie Lärm oder blendendes Licht auszuschließen. Stress ist kontraproduktiv. Daher ist auch ein Mindestmaß an grundsätzlichem Vertrauen zwischen Patientin und Therapeut wichtig. Für den Zeitraum der gesamten Behandlung gilt, dass die Fragen der Patientin angemessen beantwortet werden. Die Lymphdrainage darf keine Schmerzen bereiten, denn dies vermindert ihre Wirksamkeit. Sofern Schmerzen auftreten, sollte die Patientin darauf aufmerksam machen und der Therapeut versucht, sie so gut wie möglich zu vermeiden. Es kann sein, dass der Therapeut sehr kleine Bewegungen und sehr geringe Kräfte aufwenden muss, so dass der Eindruck entstehen kann, dass gar nichts passiert.
Die Patientin hat jederzeit das Recht, die Behandlung abzubrechen und zu gehen. Ein Streit zwischen Therapeut und Patientin gefährdet den Erfolg der Behandlung. Dabei ist es unerheblich, wer die Auseinandersetzung begonnen hat. Auch der Therapeut kann die Behandlung in sachlich begründeten Fällen abbrechen.
Die Therapie wird einerseits kurzfristig und andererseits langfristig geplant. Was möchte man in einer Woche, im Verlauf eines Rezeptes, in einem Quartal, in einem Jahr erreichen? Die Ziele sollten nach gegebener Zeit überprüft und entsprechend angepasst werden. Wichtig ist, dass die Ziele realistisch sind, aber auch keine Unterforderung darstellen. Patientin und Therapeut sollten sich gemeinsam herausfordern.
Die Lymphdrainage beginnt am Hals, in der Schlüsselbeingrube. Diese Vorgehensweise hat sich bewährt und sollte beibehalten werden. Der Diagnose entsprechend, werden die Behandlungsgebiete und die Reihenfolge der Behandlung festgelegt. Wenn im Verlauf der Therapie die Befunde andere Vorgehensweisen nahelegen, wird der Aufbau angepasst und der Patientin gegenüber begründet.
Die erste Aufgabe ist, die Lymphknoten in den Behandlungsgebieten „freizumachen“. „Freimachen“, heißt entleeren oder den inneren Durchflusswiderstand reduzieren. Im Anschluss werden funktionierende Lymphbahnen angeregt.
Bei Behandlungen der unteren Körperhälfte gehört eine Bauchbehandlung beziehungsweise eine Bauchtiefendrainage grundsätzlich dazu.
Beim Übergang zum Bereich, in welchem das Ödem auftritt, müssen Wasserscheiden (Grenzlinien zwischen den Bereichen, die zu jeweils einer anderen Lymphknotenstation ableiten) überwunden und vorbereitet werden. Der Therapeut benutzt hierbei Lymphdrainagegriffe in einer bestimmten Art und Weise, um die Wasserscheiden durchgängig zu machen. Im weiteren Verlauf werden Ersatzabflusswege über die Wasserscheiden zu den funktionierenden Lymphknoten erarbeitet, um die Transportkapazität zu erhöhen.
Im Anschluss daran erfolgt die Behandlung des Ödemgebietes. Begonnen wird am zugehörigen Rumpfanteil. Lymphgefäße, die nicht weitertransportieren, können eventuell aktiviert werden.
Es werden unterschiedliche Griffstärken angewendet. Bis zu diesem Punkt ist eine Lymphdrainage sanft bis sehr sanft. Im eigentlichen Ödem, wo die Schwellung sicht- und tastbar ist, kann die Drainage von sanft bis sehr kräftig ausgeführt werden. Trotzdem muss sie immer schmerzfrei sein.
Im Ödem wird sinnvollerweise in Abschnitten gearbeitet. Das heißt beispielsweise, dass ein Oberarm in Bereiche wie rumpfnaher Oberarm und ellenbogennaher Oberarm eingeteilt wird, innerhalb derer sich die Ödemmasse sinnvoll verschieben lässt. Behandelt wird zunächst der abflussnahe Abschnitt (proximal), solange bis ein Weiterschieben über diesen Abschnitt hinaus praktikabel ist. Bis dahin ist es nur wenig sinnvoll, die weiter entfernt liegenden Bereiche ausführlich zu behandeln.
Die Therapie in den weiter abflussfern liegenden Anteilen (distal), beispielsweise der Hand, profitiert von guter Kompression und „Bewegung in der Kompression“. Würde von distal in einen noch gestauten proximalen Bereich geschoben werden, würde der Abfluss erschwert. Wenn die Drainage die Abflüsse im Verlauf der Therapie durchgängig gemacht hat, kann man damit rechnen, dass es relativ leicht ist, diesen Abfluss offen zu halten.
Da der Abfluss im Ödem nicht selbstständig erfolgen kann, muss „nachgearbeitet“ werden. Das heißt, dass aus dem Abschnitt, der entstaut wird, bis zum sicheren Abfluss gearbeitet wird, damit die Ödemmasse nicht auf der Strecke liegen bleibt und den Abfluss wieder verschließt.
Dadurch entsteht der Eindruck eines ständigen Wechsels der Drainagegriffe zwischen den einzelnen Abschnitten, die in ihrer Größe und Festlegung auch noch variieren können.Die Erfahrung des Therapeuten, zu fühlen und zu planen, ist entscheidend, welche der Maßnahmen im konkreten Moment die vielversprechendste Möglichkeit ist. Jede einzelne Behandlung verlangt im Detail differenzierte Entscheidungen.
Lymphdrainagegriffe sind möglichst großflächig angelegt, die Wirksamkeit erwächst aus der Verformung des Gewebes, ohne dabei Gefäße abzudrücken.
Die Hände sind großflächig aufgelegt und verschieben die Haut in dem Maße, wie es deren Elastizität erlaubt.
Die Druckstärke erfolgt dem Gewebezustand angepasst, das heißt auf lockerem Gewebe sehr leicht, auf festem Gewebe deutlich stärker. Trotzdem sollte die Reizschwelle niedrig sein und es sollten keine Schmerzen hervorgerufen werden.
In einer fließenden Bewegung, quer und längst zur Faser- und Gefäßrichtung, wird der Druck einschleichend und als Nullphase am Ende einer Kreisbewegung ausschleichend ausgeübt. Während der Druckphase wird ein Teil der Haut vor der Hand in Abflussrichtung sanft angehoben. In der Druckphase ist ein Rutschen der Hände nicht sinnvoll. Beim Griffwechsel ist ein Rutschen im Sinne eines Hautkontaktes möglich, sollte aber zur Vermeidung einer Reizung und Mehrdurchblutung der Haut nicht beabsichtigt werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lymphgefäße ihre Pulsation erhöhen, ist bei einer Griffdauer von ein bis maximal zwei Sekunden am höchsten. Zur Anregung der Gefäßbewegung wird entlang der Gefäßrichtung in Bahnen von fünf bis sieben Griffen gearbeitet, so dass der Griff alle fünf bis sieben Sekunden auf derselben Stelle wirkt. Auf Lymphknotengruppen erfolgen „stehende Kreise“ im 5er-Rhythmus mit verschiedenen Ansätzen. Ansonsten wird die Griffbahn zwei- bis dreimal, beziehungsweise so oft wie nötig, wiederholt.
Ödemgriffe kommen zur Anwendung, wenn die Lymphdrainagegriffe keine weitere Wirkung im Ödemgebiet mehr zeigen. Sie sind kräftiger, langsamer und werden mehrfach auf der Stelle wiederholt, um die Energie, die die Behandlung des Ödems benötigt, in das Gewebe zu übertragen.
Lymphdrainage-Grundgriffe:
Zentrale Behandlung am Bauch:
Umgehungskreisläufe entlasten überforderte Regionen:
Die Lymphdrainage kann mittel- und langfristig nur in der Kombination mit geeigneter Kompression ihre maximale Wirksamkeit entfalten.